Wer taugt hier zum Sündenbock? Hilfe – Mobbing????
Mediationen sind streng vertraulich. Hier geschilderte Fälle sind von allem Persönlichen abstrahiert und erzählen von sehr typischen Konfliktkonstellationen am Arbeitsplatz.
Teamgröße: sechs Teammitglieder, eine Führungskraft
Zusammenarbeit: Ein Büro, getrennte Arbeitsbereiche, gemeinsame Verantwortung für den Gesamtarbeitsanfall, Urlaubs- und Krankheitsvertretung
Dauer der Konfliktklärung: 2 Tage
Alle gegen einen. Innerhalb von zwei Jahren hatte sich zwischen Frau X. und dem Rest des Teams eine offene Feindschaft entwickelt. Der Austausch kleiner Gemeinheiten würzte den Alltag, man legte sich Probleme in den Weg, wo man nur konnte und Parteigänger wurden auch
jenseits des Teams und eigener Flure gesucht und gefunden.
Frau X. führte seit einiger Zeit ein Mobbingtagebuch und war schon mehrfach und zum Teil mehrere Monate lang krank gewesen.
Auf der anderen Seite stand eine Führungskraft, die sich nichts sehnlicher wünschte als eine offene Kooperationskultur, in der alle füreinander einstehen; damit aber stieß sie bei ihren Mitarbeitern auf Misstrauen und Mauern.
Alle Versuche, die Situation durch Gespräche in unterschiedlichsten Konstellationen aufzulösen – einzeln, im Team, mit zusätzlichen Vorgesetzten – scheiterten. Die Führungskraft wollte das auch von ihr als Mobbing eingeschätzte Verhalten eines Teils der Mitarbeiter nicht länger hinnehmen. Eine Mediation schien die letzte Chance.
… auf der strukturellen Ebene ….
… das mutmaßliche Mobbingopfer Frau X. war vom Arbeitgeber zwei Jahre zuvor vor die Wahl gestellt worden, entweder zusätzliche Aufgaben in ihrem Arbeitsbereich zu übernehmen oder zu gehen.
Sie hatte sich für die Übernahme der zusätzlichen Aufgaben entschieden. Problem: Sie konnte diese Aufgaben auch nach zwei Jahren fachlich nicht bewältigen und – sie arbeitete mit dem Widerstand, in gewisser Weise von ihrem Arbeitgeber unrechtmäßig erpresst worden zu sein.
Regelmäßig geriet sie um Abgabetermine herum in Not. Regelmäßig bat sie dann die anderen Teammitglieder, ihr Teile ihrer Aufgaben abzunehmen. Sie würde es einfach noch nicht alleine schaffen. Die anderen halfen ihr anfangs bereitwillig, dann zunehmend unwilliger, zum Schluss verweigerten sie die Hilfe. Denn ….
…. auf der zwischenmenschlichen Ebene ….
… fühlte sich das Restteam zunehmend ausgenutzt. Die Kolleginnen warfen Frau X. vor, sich darauf auszuruhen, dass andere auslöffelten, was der Arbeitgeber ihr eingebrockt hatte. Sie beobachteten akribisch jede zusätzliche Pause, die Frau X. sich nahm, jeden Schwatz, den sie sich auf dem Flur erlaubte, oder jede nebensächliche Tätigkeit, mit der sie sich von der Arbeit abhielt. Brisanz hatte das Ganze gewonnen, als die Führungskraft begonnen hatte, dem Team mangelnde Hilfsbereitschaft und später Mobbing vorzuwerfen. Was war passiert?
Auf der gruppendynamischen Ebene …
… hatte sich Folgendes konstelliert: Vom Blickwinkel der Führungskraft sah das Ganze folgendermaßen aus: Die jungen, leistungsstarken, weil mit Talent und Lebensglück gesegneten Mitarbeiter verbünden sich gegen eine einzelne hilfsbedürftige Kollegin, deren ganze unglückliche Lebensgeschichte der Führungskraft aus zahlreichen Einzelterminen bekannt war. Die Starken gegen die Schwachen. Junge gegen Alte. Sozialdarwinismus. Das empörte die Teamleiterin.
Ihr persönlich waren Werte wie Solidarität, Loyalität, ein mitfühlendes Eintreten für die Schwachen sehr wichtig und leiteten sie in ihrem Führungsstil. Also stellte sie sich zum Schutz hinter Frau X. und hatte für ihre Klagen immer ein offenes Ohr. Mit fatalen Folgen. Denn dadurch fehlten ihr nicht nur die Informationen über die Situation von den anderen Teammitgliedern, die sich zunehmend als unrechtmäßig Angeklagte fühlten, sie verlor auch deren Vertrauen. Die restlichen Teammitglieder fühlten sich alleine gelassen und unverstanden und wurden zunehmend misstrauischer und verschlossener.
Sie litten darunter, als Täter in einer Situation gesehen zu werden, in der sie sich als Opfer empfanden und da der direkte Weg der Kommunikation mit ihrer Führungskraft gestört war, versuchten Sie Ihre Sicht der Dinge zu beweisen: Sie nahmen jede Gelegenheit wahr, Frau X. in ihrer Unfähigkeit bloßzustellen. Sie begannen ihr Fallen zu stellen, die ihre Minderleistung offenkundig für alle machen sollte.
Natürlich war das grausam für Frau X. Natürlich fühlte sie sich nun gemobbt. Geholfen hätte ihr, wenn sie hätte sehen können, wie sie …
… auf der persönlichen Ebene …
…. zur Eskalation des Konfliktes beitrug. Sie hatte bisher nicht gesehen, dass Ihre Ansprüche an eine so lang andauernde Hilfsbereitschaft des Teams völlig überzogen waren. Vor allem unter dem Hintergrund, dass sie, wie sie selbst zugab, sich aus Trotz gegen die aus ihrer Sicht ungerechte Erweiterung ihres Aufgabengebietes nicht wirklich bemühte, die neuen Aufgaben zu bewältigen. Sie hingegen empfand sich als immer hilfsbereit und die anderen als selbstbezogen und egoistisch. Außerdem war ihr nicht bewusst, dass sie im zunehmenden Gefühl, sich in einem Krieg zu befinden, genauso perfide zu agieren begonnen hatte, wie ihre Konfliktgegnerinnen. Und so den Konflikt massiv mit eskalierte.
…. dass die Konfliktursache strukturell und nicht lösbar ist. Nach zwei Jahren vergeblicher Anstrengungen ist nicht zu erwarten, dass Frau X. ihren gegenwärtigen Aufgabenbereich einmal eigenständig wird bewältigen können.
Denkbar ist in solchen Fällen eine Lösung, in der innerhalb des Teams Aufgaben umgeschichtet werden. Das Verhältnis zwischen Frau X. und dem Team ist aber durch das, was man sich gegenseitig zugefügt hat, so zerrüttet, dass dieses Vorgehen wenig Chancen verspricht.
Erschwerend kommt hinzu, dass Frau X. trotz der zusätzlichen Blickwinkel, die die Mediation zu Tage fördert, nicht bereit ist,sich nicht nur als Opfer sondern auch als Täterin zu sehen.
Deshalb entscheidet die Führungskraft, sie innerhalb der Organisation an einen Arbeitsplatz zu versetzen, der ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen besser entspricht. Dort integriert sie sich gut ins Team.
Das restliche Team fühlt sich entlastet durch die Auflösung des Konfliktes. Besonders die Korrektur der gegenseitigen negativen Bilder voneinander erleben alle als heilsam. Die Führungskraft erkennt, dass- von außen betrachtet – es gar keine ‚Alle-gegen-einen-Konstellation‘ gegeben hatte. Auf der einen Seite hatte das Team gestanden auf der anderen Seite Frau X. mit zum Teil zwei einander übergeordneten Führungskräften hinter sich. Wiederholt war es zu Disziplinargesprächen gekommen, wiederholt waren dem Team Disziplinarmaßnahmen wegen des mutmaßlichen Mobbing angedroht worden.
Jede Konfliktmoderation bietet den Beteiligten auch die Chance, ihre verwickelte und leidvolle Geschichte unter dem Hintergrund psychologischer Gesetzmäßigkeiten zu verstehen. Das wirkt in der Regel entlastend. Wir lernen, wir sind normale Menschen, auch wenn wir das Gefühl haben, irre zu werden an der Situation.
Hier hatten alle Beteiligten sich im Karussell von Gefühlen, Gedanken und Taten zunehmend hilflos und ohnmächtig gefühlt. Alle erlebten es als Versagen, sich einfach nicht mehr erwachsen verhalten zu können. Selbstständig keinen Ausstiegaus dem Streiten finden zu können.
Die Konflikttheorie hält da dagegen, dass es ab einer gewissen Eskalationsstufe im Konflikt nur noch einen Ausstieg mit Begleitung eines professionellen Dritten geben kann. Die eskalierenden psychologischen Mechanismen wirken zu stark. Das Karussell hat zu viel Fliehkraft, es muss angehalten werden.
Eine offene Kommunikation – gerade über Schwieriges – kann Konflikteskalationen wiederum im Keim ersticken …
…. regelmäßig Zeiträume für Metagespräche einzuplanen. Das sind Gespräche, in denen nicht über das Was der gemeinsamen Arbeit, sondern nur über das Wie-arbeiten-wir-zusammen gesprochen wird. Sie verpflichten sich einander, Schwierigkeiten so früh wie möglich anzusprechen. Es wird entschieden, Konflikte immer im Beisein aller Beteiligten zu besprechen.
Die Situation im Team entwickelt sich konstruktiv. Das Klima ist entspannt. Frau X. hat sich in ihr neues Team gut eingelebt und nimmt eine vom Unternehmen angebotene Konfliktberatung in Anspruch, um ihre Erlebnisse aufzuarbeiten und Konflikte künftig konstruktiver austragen zu können.
Die Verwendung des Begriffs Mobbing hat sich in den letzten Jahren sehr verbreitet. Dazu ist viel geschrieben und verfilmt worden. Es ist gut, dass es inzwischen eine Aufmerksamkeit dafür gibt, wie grausam sich verbale und nonverbale Feindseligkeiten auf die Seelen der Opfer auswirken können. Opfer verbaler und nonverbaler Feindseligkeiten sind übrigens alle Menschen, die sich in einen Konflikt verwickelt haben. Denn mit zunehmenden Verletzungen steigen auch der Austausch und der Schweregrad ausgetauschter Grausamkeiten.
Mobbing aber bezeichnet Handlungen, die das Opfer durch Zufügen von seelischem Schmerz dazu bewegen soll, den Arbeitsplatz zu kündigen oder die Gruppe zu verlassen. Wenn wir von Mobbing reden, dann haben wir oft Bilder von Menschen im Kopf, die Spaß daran haben, andere zu quälen. Es gibt solche Menschen, aber viel häufiger in unserer Phantasie als in der Realität. Und auch, wenn ab einer gewissen Eskalationshöhe alle Konfliktpartner nichts sehnlicher wünschen, als dass der andere einfach ‚Leine zieht‘, handelt es sich häufig nicht um Mobbing, sondern um einen eskalierten Konflikt. Der Umgang mit dem Begriff Mobbing sollte sehr behutsam erfolgen. Er weist im Konflikt klar einer Seite die Opferposition zu und macht die andere Seite zum Täter. In manchen Fällen ist das gerechtfertigt, in vielen nicht und erschwert dann die Klärung des Konfliktes.